8.10.1944

Die Flucht aus Kernei vor der "Roten Arme" beginnt.

Liebe Kerneierinnen und liebe Kerneier, liebe Freunde,
vor 80 Jahren haben die Kerneier begonnen, ihre geliebte Heimat zu verlassen. Ihnen wurde später, nach dem 8. August 1945, nachgesagt, selbst Täter und Opfer zugleich zu sein. Aufgrund der Bedrohung durch die heranrückende Rote Armee mit den Partisanen sah sich die Hälfte der Einwohner Kerneis gezwungen, sich in mehreren Zügen auf den Weg Richtung Westen zu machen. Sie waren der Auffassung, dass die Gefahren einer unsicheren Flucht immer noch besser seien als die befürchteten Gräueltaten. Später hörten sie dann die Berichte von den Gräueltaten der Lagerzeit in Gakowa und Kuschiwl, welche die Kerneier erleben mussten, die sich nicht für eine Flucht entschieden hatten.
Wie alles begann: "Nachdem Ende September die ersten Flüchtlingstrecks aus dem Banat durch unser Dorf zogen. Gewöhnlich erreichten die Trecks mit jeweils 80-100 Pferdewagen um die Mittagszeit Kernei. Den "Auswanderern" - den Begriff Flüchtlinge oder Vertriebene kannte man noch nicht - wurden warme Mahlzeiten verabreicht, die Pferde bekamen Futter, und nach 3-4 Stunden setzten sie ihre Fahrt fort. Gegen Abend kam der nächste Treck, übernachtete im Dorf und fuhr am nächsten Morgen weiter. So bot sich Gelegenheit, mit den Bedauernswertenzusprechen, Meinungen auszutauschen und sich mit dem Gedanken an die eigene Flucht
vertraut zu machen.
Zu Anfang Oktober 1944 herrschte eine allgemeine Ratlosigkeit. Die älteren Männer im Dorf, die bereits im Ersten Weltkrieg die Russen kennengelernt hatten, waren geneigt, die Gefahr abzuschwächen. Sie kannten ja nur den gutmütigen, frommen Russen von damals. Auch die deutschen militärischen Stellen und der Nachrichtendienst beruhigten und beschwichtigten die Menschen. Von allen Seiten hörte man nur, wenn es zur Evakuierung käme, so müsste die Heimat nur kurzfristig verlassen werden, bis die militärische Lage in diesem Gebiet bereinigt wäre. Dies glaubte man nur allzu gerne.
Die Verwirrung wurde noch größer, als zwischen dem 4. und 8. Oktober widersprechende Weisungen von deutschen militärischen Dienststellen und von der Volksgruppenführung herausgegeben worden sind; einmal hieß es bleiben, einmal zur Flucht bereithalten. In jenen Tagen mussten von jedem einzelnen Entscheidungen getroffen werden, deren Folgen nicht zu übersehen waren. Bleiben oder gehen war die große Frage.
In der Nacht zum Sonntag, dem 8. Oktober 1944, kam die Weisung an die Bevölkerung, sich um sechs Uhr bereitzuhalten und den Ort in Richtung Sombor zu verlassen. Um acht Uhr verließ die erste Kolonne mit über vierhundert Menschen Kernei. Im Laufe des Nachmittags und auch noch am folgenden Montag verließen weitere Kerneier die Heimat. Geflüchtet sind etwa 2400 bis
2500 Deutsche aus Kernei, 422 Häuser waren leer. Mehr als die Hälfte der Einwohner blieb in der Heimat - mit ruhigem Gewissen und im Bewusstsein, nichts verschuldet zu haben. In manchen Fällen blieb man zu Hause, weil die jüngeren Männer eingezogen waren und die Frauen und die alten Leute nicht den Mut hatten, fortzugehen. Bei vielen spielte auch die Liebe zur Heimat und das Festhalten und Bewahren des Besitzes eine große Rolle. Andere wollten die Geborgenheit der Heimat nicht missen und bangten vor dem großen Wagnis, ziellos und bettelarm in die Ferne zu ziehen.
Die Kerneier konnten nicht geschlossen fahren und mussten sich gruppenweise in die schon fahrende Kolonne einfädeln. Alles strebte einem Donauübergang zu. Die nächstgelegene Fähre bei Bezdan durfte nicht benutzt werden, so zogen die Trecks nordwärts. Erst bei Dunaföldvar war es möglich, die Donau zu überqueren. Den meisten gelang dies am 14. Oktober. Bei der Stadt Cece sammelten sich viele Kerneier." (Ackermann-Buch) Auf weitere Texte in den Kerneier Heimatblättern die über die Flucht verfasst wurden verweise ich.

Wir gedenken aller, die diese Situation aushalten mussten. Am Denkmal wurden am 8.10.2024 auf Initiative von Barbara Berberich und der HOG-Kernei ein Gesteck mit Trauerschleife (80 Jahre Flucht und Vertreibung) niedergelegt und für unsere Verstorbenen eine Kerze angezündet.

Der schwere Weg am Karfreitag und Karsamstag 1945 - Die Kerneierinnen und Kerneier erinnern sich an Zwangsenteignung und den Gang in die Internierungslager Kruschiwl und Gakowa vor 80 Jahren.

Die Internierung der Kerneier Bewohner fand am Karfreitag und Karsamstag, dem 30. und 31. März 1945 statt. Vereinzelt wurden auch noch danach Familien zwangsweise in die umliegenden Internierungslager eingewiesen. Sie mussten ihre Häuser verlassen und wurden enteignet.
Den Weg in die Internierungslager mussten 2327 Personen aus Kernei gehen.
Schon in der Morgendämmerung war das Dorf von schießenden Partisanen umstellt. Es wurde be- kanntgegeben, alle Deutschen müssen die Häuser verlassen und sich mit ihrem Handgepäck im Gemeindehaus (Rathaus) einfin- den. Im Haus des Anton Müller (Ganzmann) in der Kirchengasse wurden sie gesammelt. Partisanen gingen von Haus zu Haus, trieben zur Eile an, und alle, ob jung oder alt, gesund oder krank, mussten zur Sammelstelle. Dieser letzte Rest der Kerneier wurde am Nachmittag in Richtung Sombor getrieben. Die Internierten wur- den mit Cuterwagen der Eisen- bahn nach Gakowa gebracht.

Bild aus dem Buch: „Barefoot in the rubble“, Barfuß in den Trümmern von Elisabeth B. Walter

Von hier aus wurden diearbeitsfähigen Personen in andere Lager überführt Die älten Menschen und die Mütter mit ihren Kleinkindern kamen in das Lager Kruschiwl Der Elendszug zog sich bald weit auseinander, die Par tisanen verloren die Über- sicht. Das nutzten einige einheimische Serben von den Somborer Salaschen, die diese Maßnahme der neuen Herren missbillig- ten. Sie fuhren mit leeren Wagen neben der Kolon- ne her und voller Mitleid beförderten sie Gebrech- liche und Kinder bis Som- bor. Einige Mütter mit Kindern versteckten sie vorübergehend bei sich.

Bild: Weg der Donauschwaben von Sebastian Leicht

Die Kerneier Opfer der Internierungslager
Es wurden 2325 Personen interniert. Wir beklagen und gedenken der 708 (30,7 % der Internierten) Kerneierinnen und Kerneier, die damals aufgrund der menschenunwürdigen Lagerverhältnisse gestorben sind.

 

Die Internierungslager Gakowa und Kruschiwl waren keine umzäunten Gebäude, die eine Flucht unmöglich machten, sondern ganze Ortschaften, die von Partisanen umstellt waren, so dass sich immer wieder Gelegenheiten boten, aus den Orten zu f1iehen. So war es möglich, dass immer wieder mutige Männer und Frauen mit ihren Familien das Sammellager heimlich verließen und illegal über die Grenze nach Ungarn
flüchteten.

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